Im Land der Sonnengöttin: Reisen zu den Hauptinseln Japans mit Abstechern nach Südkorea und Taiwan

Japan ist ein hochindustrialisiertes Land. Die Moderne hat das Althergebrachte aber nicht ausradieren können. Der japanische Mensch besucht weiterhin seine buddhistischen Tempel und Shinto-Schreine. Er fühlt sich als Teil der Natur und er verehrt sie. Er schuf Landschaftsgärten und Tempelgärten. Er erfand die Teezeremonie und er zelebriert auch heute noch ihren meditativen Ablauf. Er hat einen hohen Sinn für Ästhetik. Sogar unter den japanischen Souvenirs findet man selten Kitsch. 

Leseprobe
Im Land der Sonnengöttin

In Kagoshima wohnt Tomoko. Ich traf sie in der Jugendherberge von Hagi, als ich noch kein Fahrrad hatte, aber schon davon träumte. Sie gab mir ihre Adresse und Telefonnummer. „Besuch mich in Kagoshima!“, hatte sie gesagt. „Komm auf jeden Fall vorbei!“ Am Bahnhof finde ich eine Telefonzelle und rufe an. Tomoko ist zu Hause. „Ich komme sofort“, sagt sie, „ich hole dich ab. Toll, dass du da bist! Und dann noch mit dem Fahrrad! Wo hast du das denn gekauft?“ Ein wenig später steht sie mit ihrem Rad vor mir. „Zuerst fahren wir zu Mari, meiner Freundin“, sagt sie, „komm mit!“ Gemeinsam radeln wir zur klitzekleinen Wohnung der Freundin, die sich im ersten Stock unter dem Dach befindet. Mari serviert Tee und Erdnusscracker. Wir sitzen auf Tatami am Tischchen und unterhalten uns eine Weile. „Seit wann bist du mit dem Fahrrad unterwegs?“, fragt Tomoko. „Auf eine Fahrradtour hätte ich auch Lust!“ Ich erzähle von den Erlebnissen der vergangenen Tage und von der Freundlichkeit und Gastfreundschaft ihrer Landsleute. „Umwerfend!“, sage ich. „Überall bin ich willkommen! Jeden Tag passiert etwas Nettes. Man liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. In dem Ausmaß habe ich das noch in keinem anderen Land erlebt!“ 
Mari radelt mit uns zum winzigen Appartement Tumokos. Die Wohnung ist um eine Idee größer als die Maris. Es herrscht eine gesunde Unordnung. Die beiden bereiten ein einfaches und hervorragendes Mahl zu, gebratene Sojabohnen mit Reis. Abends nehmen sie Matratzen aus den Schränken und rollen sie aus. Wir passen soeben nebeneinander. Bevor wir schlafen gehen, hängt Mari eine Papierpuppe an die Tür, einen Glücksbringer für gutes Wetter, denn wir haben Großes vor: Auf Rädern wollen wir morgen den Vulkan Sakurajima umrunden. 
Die Papierpuppe hat unseren Wunsch erfüllt und uns Sonnenschein beschert. Wir nehmen unsere Räder und setzen mit der Fähre zur Halbinsel auf der anderen Seite der Bucht zum Vulkan Sakurajima über. Mit einem Ausbruch ist immer zu rechnen und trotzdem fliehen die Menschen nicht. 1914 gab es eine große Eruption, bei der gewaltige Lavaströme die Meerenge zwischen Festland und Insel zum Teil füllten, sodass sich die Insel in eine Halbinsel verwandelte. Bei einem Ausbruch im Jahr 2014 wurde die Asche vier Kilometer in die Luft geschleudert und senkte sich dann aufs Land. Trotz der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011, über die das Fernsehen tagelang rund um die Welt berichtete, gibt es ein Kernkraftwerk in der Nähe von Kagoshima. 
Eine etwa fünfundzwanzig Kilometer lange Straße umrundet den Vulkan. Wir radeln bergauf und bergab. Die Lavafelder zu beiden Seiten der Straße bestehen aus dicken, pechschwarzen Gesteinsbrocken. Auf der Westseite befindet sich der höchste, dreihundertfünfzig Meter hohe Aussichtspunkt. Nicht weit entfernt ragen nur noch die zwei Querbalken eines grauen Steintoriis aus der erstarrten Lava. Es wurde bei dem starken Ausbruch von 1914 fast vollständig begraben. Der Hügel dahinter ist bedeckt mit Felsen und Steinen, die eingerahmt werden von Kiefern, hohen Gräsern und Palmen. Auf der Südseite angekommen, blicken wir weit über das Lavafeld und das Meer. Wir haben Brote und Wasser dabei und picknicken am Fuße des brodelnden Vulkans. Am späten Nachmittag kehren wir erschöpft zurück nach Kagoshima. Wir erholen uns im heißen Wasser eines öffentlichen Badehauses. Die Poren öffnen sich, die Muskeln erschlaffen, die Gedanken verflüchtigen sich und der Geist wird ganz ruhig. 

Buchcover Auf alten Handelsrouten

Im Land der Sonnengöttin: Reisen zu den Hauptinseln Japans mit Abstechern nach Südkorea und Taiwan

Von Tokio aus machte sich Mechthild Venjakob auf die Suche nach dem alten Japan. Sie entdeckte Tempel, Schreine, Burgen, Paläste und historische Orte und hinter der glitzernden Fassade der Moderne alte Traditionen, die heute noch lebendig sind. Ein Abstecher führte sie nach Südkorea und Taiwan. Sie beschreibt die Kultur- und Naturschätze der Länder und sie erzählt von der Gastfreundschaft der Menschen, die in Japan besonders ausgeprägt war.

Bei Amazon bestellen

Im Land der Sonnengöttin - Bilder