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Asien Reisen Buch - Vom Südchinesischen Meer auf das höchste Plateau der Erde - Reisebericht

Allein reiste ich 1996 mit dem Fahrrad von der Küste des Südchinesischen Meeres auf das Qinghai-Tibet-Plateau, das höchste der Erde.
Ich startete in Kanton am Perlfluss und durchfuhr das ländliche China der Provinz Guangdong, die Kautschuk-, Bananen- und Kokosnussplantagen auf der Insel Hainan und eine märchenhaft anmutende Karstlandschaft, Zuckerrohr- und Reisfelder in der Provinz Guangxi. In Yunnan besuchte ich die Volksgruppen der Bai in Dali am Erhai-See und die der Naxi in Lijiang. Ich heilte die Verletzungen eines Sturzes aus, bevor ich mich Meter für Meter der Schwerkraft entgegenstemmte, um Pässe zu erobern, die den Himmel berühren. Unzählige Herausforderungen warteten auf mich: eineinhalbtausend Kilometer Schotterstraßen, die einseitige Kost, die aus unzähligen Nudelsuppen bestand, die dünne Luft, das Zelten im Schnee und die Kälte des hereinbrechenden Winters.
Ich schildere die landschaftlichen Besonderheiten dieser Extremtour und erzähle von den Begegnungen mit Menschen, die mir in Notsituationen zur Seite standen.

 

Leseprobe

Ein Fluss, an dem ich zelten könnte, ist nicht in Sicht. Schließlich taucht ein lang gestreckter See vor violetten Bergzügen auf. Der Wind fegt über das Plateau. Nur mit Mühe gelingt es mir, das Zelt aufzustellen und zu sichern. Ich laufe zum See hinunter und hole Wasser. Es ist salzig. So ist die Nudelsuppe heute Abend versalzen! Ich spreche mir selbst gut zu: „Du musst essen. Ohne Essen fällst du vom Rad. Iss das jetzt!“ Und ich esse diese Abscheulichkeit. Die ganze Nacht über plagt mich der Durst. Mein restliches Trinkwasser teile ich sorgfältig ein. Als ich am Morgen aus dem Zelt schaue, besteht die Welt aus Pulverschnee. Ich schmelze den Schnee über meinem Benzinkocher und bereite mir eine nicht versalzene Nudelsuppe zu. Das ewig gleiche Essen schmeckt mir schon lange nicht mehr. Tag für Tage esse ich Nudelsuppe oder Reispudding. Morgens überlege ich, was ich zuerst essen soll, morgens die Nudeln und abends den Reis oder umgekehrt. Immer dasselbe. Tag für Tag! Zwischendurch dann die chinesischen Kekse. Sie schmecken wie Sägemehl. Inzwischen muss ich mich zwingen, zu essen, denn etwas essen muss ich auf dieser strapaziösen Tour. Es ist schon fast egal, ob die Nudelsuppe versalzen ist oder nicht.

24 Leseprobe Provinz Qinghai

Nach dem dürftigen Frühstück breche ich auf in das Wintermärchen des frühen Morgens. In der Ebene schmilzt der Schnee schnell. Mit einer Schaufelmaschine haben die Straßenbauarbeiter vor Kurzem die Seitenstreifen geglättet und schnurstracks radele ich auf einen mit Schnee bestäubten Bergzug zu. Der Wind kommt jetzt von vorn. Bei Kilometerstein 352 stehe ich mal wieder auf einem Pass. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp sechs Kilometern in der Stunde bin ich aufgestiegen und die Temperaturen sind auf zwölf Grad Celsius geklettert. Nur kurz kommt die Sonne durch. Über dem See, der hinter mir liegt, schneit es bereits. Jenseits des Passes ragen hohe, kantige, schneebedeckte Berge auf. Ich zelebriere eine Zigarettenpause. Sie bedeutet eine Belohnung nach all der Mühsal. Bevor ich die Zigarette zu Ende geraucht habe, schlägt der Wind mir den Schnee ins Gesicht. Die Flocken kitzeln auf der Haut. Ich fahre hinunter in ein schneebedecktes Tal. Die weißen Berge zu beiden Seiten sind hoch. 

25 Leseprobe Schafe im Schnee

Plötzlich eine Überraschung: Asphalt! Hoffentlich ist es nicht der Witz, der sich nicht wieder so wie gestern und vorgestern mehrere Male abspielte: Inmitten der Wildnis lagen plötzlich Strecken von zweihundert bis vierhundert Metern unter einer exzellenten Teerdecke. Die Asphaltstraße jetzt ist allerdings alt und ausgebeult. Sie wird mich nach Xining bringen, dem Ziel meiner Fahrradtour.

Flöhchen surrt durch die Winterlandschaft, die unter der strahlenden Sonne aufleuchtet. Im Dörfchen Wenquan bei Kilometerstein 334 esse ich gebackene Kartoffeln mit drei Eiern, eine willkommene Abwechslung nach den tausend Nudelsuppen der vergangenen Zeit. Gegenüber dem Restaurant hole ich Benzin für meinen Kocher. Hier kann ich für fünfzehn Yuan übernachten. Weil es schon sechzehn Uhr ist, bleibe ich. Es sieht nach mehr Schnee aus. Trotz meiner Bitte machen die Leute den Ofen in meinem Zimmer nicht an. Bei elf Grad Celsius friere und schnattere ich vor Kälte. Wenquan heißt übersetzt „heiße Quellen“. Im Waschraum fließt tatsächlich warmes Wasser aus dem Hahn und ich kann mir endlich die Haare waschen. 

Ich bin froh, dass es nicht geschneit hat. Schon um acht Uhr dreißig sitze ich auf dem Fahrrad und fahre durch den frostigen Morgen.

Der Aufstieg zum circa 5000 Meter hohen Ngala Pass steht bevor, ungefähr 600 Höhenmeter muss ich überwinden. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt sechseinhalb Kilometer in der Stunde. Wie viel weicher ich auf der Teerdecke rolle! Meine Kondition ist zum Bersten gut und nicht ein einziges Mal muss ich schieben. Die Schneeschicht, unter der die Landschaft liegt, wird dicker. Die Straße ist frei. Aber wie lange noch? Ist der Pass noch frei? Nach gut sechzehn Kilometern stehe ich aufgeregt auf dem tief verschneiten Pass. Eine zwanzig Zentimeter hohe Schneedecke bedeckt die Straße, streckenweise sind zwei Spuren freigefahren. Ich komme mir vor wie im Skiurlaub. Es sind neun Grad Celsius in der Sonne und fünf Grad Celsius im Schatten. Der Aufstieg hat zweieinhalb Stunden gedauert.   

27 Leseprobe Zelten

Ich fotografiere Flöhchen im Schnee und begebe mich auf die herrliche Abfahrt. Circa dreißig Kilometer fahre ich hinunter in ein weites, sanft geschwungenes Tal. Es liegt kein Schnee mehr. Unten überquere ich einen Fluss, der sich tief ins Erdreich gefressen hat, und passiere eine kleine Siedlung. Ab jetzt sind die Steigungsstrecken länger als die Gefällstrecken. Bald stehe ich auf einem großen, von schneebestäubten Bergen eingerahmten Plateau. Goldbraun schimmert das kurze Gras, das die Hochebene bedeckt. Die Höhen der Ngala-Gebirgszüge hinter mir leuchten in purem Weiß, die Ausläufer der Hänge bläulich-violett. Die Landschaft ist von überirdischer Schönheit.

 26 Leseprobe Wellblechpiste

 Die Flüsse haben sich tief durch die Hochebene gefressen. Immer wieder steige ich in einen Canyon ab, überquere den Fluss, um am anderen Ufer zum Plateau hinaufzuklettern. Das auf der Karte eingezeichnete Dorf Daheba kommt und kommt nicht in Sicht. Schließlich taucht bei Kilometerstein 251 ein Arbeiterhaus auf. Das ist Daheba! Ich besorge mir Wasser. Die Tibeterin, die am dicken Wasserschlauch im Hof hockt, starrt mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Ich glaube, sie hat noch nie eine „Langnase“ gesehen.

 

Reiseberichte und Reisefotos von Mechthild Venjakob | Gestaltung - JPdesign | (c) 2018